Engineering made in Germany 2022 - Lage, Perspektive, Untergang?

Das Dilemma politischer Ingenieurarbeit

 

Ingenieure gelten als das Rückgrat der deutschen Industrie. Über Jahrzehnte haben Generationen an Technikern, Tüftlern und Wissenschaftlern den Markenkern deutscher Qualitätsarbeit erarbeitet. Es zeichnet sich nun allerdings ein Wandel in der Reputation deutscher Technologie ab. Eine Mischung aus ineffizienter Arbeitskultur, digitalem Wandel und politischen Kurzsichtigkeiten fordern den Industriestandort Deutschland heraus und schaden dem etablierten Markenkern von “Made in Germany”.

 

Kein Wunder, denn der Wohlstand in Deutschland basiert auf den Industrien des 19. Jahrhunderts. Chemie, Stahl und Automobilindustrie katapultierten Deutschland vom Agrarstaat in die Moderne. Nun ist im Jahre 2022 der größte Stahlkonzern der Welt indisch, ein amerikanisches Automobil-Startup mehr wert als alle deutschen Automobilhersteller zusammen und der größte Chemiekonzern Chinas Sinopec wächst kontinuierlich an BASF heran. Das Heimspiel werden wir also verlieren. Auf einen Auswärtssieg in der Digitalisierung oder der künstlichen Intelligenz hoffen wohl nur noch hartgesonnene Fans im Stehblock. Zumindest gibt es eine Ehrenurkunde für vermeintliche Nachhaltigkeit und einen Best-in-Class Award für die Work/Life Balance unserer Beamten, denen wohl der Honig im Schlaf in den Mund tropft.

 

Neben der allgemeinen Schlechtwetterlage, verdüstert der Mangel an visionärer Industriepolitik - die Neues schafft, statt nur bestehendes zu verbessern - auch die Aussichtslage für abertausende Ingenieure. So fehlt nicht nur ein Zugpferd, sondern zunehmend die Erfahrung. Wenn China, Indien und die USA mit mutigen Großprojekten nach vorne dreschen, schaffen sie nicht nur die industrielle Basis für ihren zukünftigen Wohlstand - sie bilden auch ihre Ingenieure an und mit zukünftigen Technologien aus. Die Kombination der Nutzung moderner Technologien und besseren Erfahrungsschatz ist Sprengstoff für die Wissensarbeit deutscher Ingenieure – bei China und Indien kommen auch noch deutlich niedrigere Lohnkosten dazu. Überlagert wird diese Disruption auch von einem Kulturwandel.

 

Seit Jahrzehnten verteilt die deutsche Politik Fördergelder nach dem Gießkannenprinzip. Statt durch die Fokussierung von Ressourcen nationale Champions oder Pioniertechnologien zu ermöglichen, werden Strukturen geschaffen, bei denen Fördermittel Selbstzweck sind und deutsche Technologieunternehmen die Behördenmentalität ihrer vermeintlichen Förderer übernehmen. Verantwortung, revolutionäre Ideen oder Unternehmertum sind hier Fehlanzeige. Stundenschreiben, Subventionen kassieren, weiterschlafen. Selbstredend gibt es ein Bundesministerium für Sprunginnovation, das die schönsten Broschüren über Radikalinnovationen druckt. Bravo, Berlin! So fundamentiert man den Status Quo statt ein tragfähiges Industriekonzept für Morgen zu schaffen.

 

Wer es als Ingenieur mit der technologischen Entwicklung ernst meint, wird sich schwer tun, dem Zeitgeist zu entgehen. Hunderttausende hochausgebildeter Spezialisten verbringen bei Konzernen ihre Arbeitszeit in nervtötenden Besprechungen und tragen mit ihren eigenen endlosen Einwegfolien zum Hirntod ihrer Kollegen bei.  Ein Studium an der Kunstakademie hätte sie beruflich wohl besser auf die Powerpointschlachten vorbereitet, als die Studienzeit in Vorlesungen zur höherer Mathematik. Hier arbeitet geistiges Potenzial im Leerlauf, statt den Antrieb des Wohlstands in den zweiten Gang zu schalten.

 

 

Tesla hat es der deutschen Automobilindustrie vorgelebt: Statt 35 Stundenwoche und Selbstverwaltung gibt ein Chef mit Visionen den Takt vor. Unternehmerisches Handeln wird hier gelebt und dient nicht als bürokratischer Verwaltungsakt oder Vorwand zur Subventionierung. Spitzenpersonal wird mit Spitzenlöhnen entlohnt, aber eben auch an der Leistung gemessen. Wer nicht performt, fliegt. Auch das ist Bestandteil einer fast schon religiösen Aufopferung an den Kunden und die Unternehmensvision. Das Resultat ist ein wahrscheinlich unaufhaltsamer Vorsprung des ehemaligen Startups, das nicht nur auf der Straße Rekordbeschleunigungen hinlegt. Kein Wunder, dass die chinesischen Early-Followers nicht im Traum daran denken, sich am Geburtsort des Automobils zu orientieren, sondern ihr Vorbild im Jungunternehmen aus Kalifornien suchen.

 

 

Der Blick nach vorne

 

Was bleiben dem Engineering für Optionen, wenn in Deutschland der Pioniergeist der Amerikaner und das strukturelle und politische Backing der Chinesen fehlen?

 

 

Die Antwort mag simpel klingen, die Umsetzung erfordert von technisch geprägten Führungskräften eine neue Positionierung und die Orientierung an neuen Maßstäben. Ich habe drei Prämissen erarbeitet, die ich zur Reflexion stellen möchte:

 

 

  1. Konzentration als Stärke spielen: Konzentration hat eine doppelte Bedeutung: Einerseits beschreibt Konzentration die lokale Verdichtung verstreuter Objekte. Konzentration beschreibt aber auch eine möglichst weitgehende Nutzung geistiger Fähigkeiten ohne Ablenkung durch irrelevante Faktoren. Beide Bedeutungen haben Tragkraft für ein zukünftiges Engineering in Deutschland. Denn einerseits müssen wir es schaffen, wieder konzentriert technische Innovationen zur erarbeiten, die dem deutschen Markenkern gerecht werden. Zuverlässigkeit, Spitzentechnologie und Pioniergeist entstehen nicht in Besprechungen und auch nicht auf Powerpoint. Geben wir Fachexpertise, Fachexperten und Visionären wieder die Stellung, die sie verdienen. Was die Verdichtung von Objekten und Personen angeht, ist es an der Zeit Spitzenkräfte zusammenzubringen und ihnen die Last des Mittelmaßes zu ersparen. Hervorragende Ingenieure, mutige Unternehmer und kreative Köpfe müssen näher zusammenrücken – ohne Förderung, ohne Subvention, dafür mit klarer Zieldefinition und dynamischerer Erfolgsbeteiligung. 
  2. Unternehmerisches Denken statt Beamtenmentalität: Technische Kompetenz, die sich aus Forschung speist, verliert gegenüber neuen Geschäftsmodellen und Agilität in der Umsetzung deutlich an Boden. Startups und kleine Unternehmen agieren schneller, umsetzungsorientierter und effizienter als Forschungsinstitute. Leider sehen politische Steuerungsinstrumente aber immer noch die Forschungskooperation zwischen Unternehmen und Forschungsinstituten als Mittel der Wahl. Wer seine unternehmerische Zukunft an der Fachexpertise von Politikern bindet, statt mit unternehmerisch denkenden Spielern schnell am Markt zu agieren, setzt seine Zukunft aufs Spiel. Hier heißt es, die Bequemlich und Beharrlichkeit der Beamtenschaft mit all ihren Instrumenten zugunsten des inneren Kompasses aufzugeben. Wir brauchen die Dynamik der Jugend, den Pioniergeist der Wagemutigen und die Umsetzungsstärke der Großen. Hier kann für deutschland großes entstehen.
  3. Digitalisierung für mehr Geschwindigkeit: Man kann es ja kaum noch hören und trotzdem muss man es wieder sagen. Die Digitalisierung bietet gerade für uns Ingenieure unglaubliches Potenzial. Software ist (weitgehend kostenlos) verfügbar, Rechenleistung ist spottbillig und das Erlernen von Digitalkompetenz ist dank Anbieter wie Udacity  nur noch eine Fleißaufgabe. Über Fertigungsplattformen können wir kostengünstig und schnell Prototypen fertigen, erproben und umsetzen.

 Befreien wir uns von Bürokratie, dem ewigen Blick zurück und unserer eigenen Restriktionen. Das Kartenspiel des zukünftigen Wohlstands wird gerade neu gemischt. Wer jetzt nicht mit an Board geht, sieht bald seine Zukunft über den Horizont fahren.

 

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Über mich

Moritz Schulz
Mitarbeiter in der Fraunhofer Gesellschaft und Technik-Blogger seit 2012.

 

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Beratung zu Digitalisierung & Entwicklung im Maschinenbau