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Disruption in der industriellen Fertigung - eine Übersicht zu Perspektiven aus der Strategieberatung

An dieser stelle möchte ich verschiedene Daten und Literaturquellen zum Wandel in der Industrie sammeln. Das Hauptaugenmerk liegt dabei klar auf der industriellen Fertigung (CNC-Bearbeitung, Gießereien etc.) und den Auswirkungen der Digitalisierung (u.a. durch den Angriff der Plattformen, vermehrte Preistransparenz etc.). Anders als bei meiner reinen Daten- und Faktensammlung, die ich bereits in meinem Blog führe, soll es hier eher um strategische Fragestellungen und Empfehlungen der großen Strategieberater gehen. Die Sammlung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll aber einen schnellen Überblick für interessierte Leser geben. Deloitte, McKinsey, Accenture und Co. haben sich bereits umfassend in ihren Studien zur Digitalisierung im Maschinenbau und der Fertigung geäußert. Mal schauen, was die Kollegen dort prognostizieren.

Was eine Plattform ist, hat Roland Berger gut definiert:

 

"Digitale Plattformen stellen Intermediäre dar, die mit Hilfe von digitaler Technologie zwei oder mehr
Marktteilnehmer über die Plattform verbinden und deren Interaktion vereinfachen." Quelle

Was sagt DEloitte zum Wandel in der Industrie?

Deloitte sagt es selbst: "Disruption ist nicht oft willkommen, bietet aber auch Chancen, das eigene Geschäftsmodell zukunftsfähig zu machen. Die Studie ist sicherlich lesenswert oder sogar eine Pflichtlektüre für Führungskräfte aus der fertigenden Industrie. Das Marktumfeld wird von Deloitte als "volatile, uncertain, complex, and ambiguous" beschrieben. Ein Wording, das auf US Army War College zurückgeht und klar machen soll, dass es in den nächsten Jahren wohl nicht mehr so fröhlich zugeht wie bisher.

 

Als Treiber für strategische Risiken werden folgende Faktoren beschrieben:

  1. Customized demand: Mit Standardverfahren und klassischer Lohnfertigung wird es in der Zukunft in Deutschland und in Industriestaaten nicht mehr getan sein. Customization und Personalisierung sind Trends, die auch eine lokale Wertschöpfung in Hochlohnländern erlauben.
  2. Smarte Produkte: Industrie 4.0 lässt grüßen: vernetzte Geräte, Maschinen und Schnittstellen zwischen Menschen und Maschinen dürften in der Zukunft das Maß der Dinge sein. Finden Sie unnötig? Nehmen Sie den Hut.
  3. Neue Fertigungstechnologien reduzieren Personaleinsatz: Vom Roboter als Handlingunit bis zur additiven Fertigung. Viele neue Low-Cost Ansätze verringern die Attraktivität von traditionellen Fertigungsansätzen. Das Geschäft wird damit in Zukunft kapitalintensiver und technologisch innovativer. Nur die Fräsmaschine in der Halle wird es in Zukunft wohl leider nicht mehr tun. Weder in China noch in Deutschland.
  4. Wertschöpfung über die gesamte Value-Chain: Wenn über Sensoren und Daten immer mehr über Produkte, Kunden und Geshcäftsbeziehungen transparent wird, gewinnt wer die Datenhoheit hat. Wo bestehen freie Kapazitäten? Wo können Ineffizienzen behoben werden?
  5. Startups: Der Satz spricht für sich: "Neue Technologien werden es neuen Marktteilnehmern leichter machen, den Markt zu stören, vielleicht aus ganz anderen Branchen. Fertiger sollten darüber nachdenken, wie ein Startup oder ein technologischer Wettbewerber das Spielfeld mit Zugang zu Crowd-Sourced Engineering, digitalem Vertrieb und 3D-Drucktechnologien stören könnte. Die größte Herausforderung besteht darin, dass diese Art von Disruption völlig aus dem Nichts zu kommen scheint und scheinbar nicht verwandte Technologien kombiniert, um ein besseres Wertangebot zu bieten. Da Disruptoren die Regeln einer Branche nach der anderen neu schreiben, wären Unternehmen gut beraten, sich auf die Möglichkeit eines Game Changers vorzubereiten oder aktiv in diese mitzuinvestieren."

Was sagt McKinsey zum Wandel in der Fertigungsindustrie?

Auch McKinsey sieht den Wandel in einem neueren Artikel durch Industrie 4.0 als ein Risiko und eine Chance gleichermaßen. Wer den Wandel verschläft, wird nicht an den neuen (Geschäfts-)Möglichkeiten partizipieren können, die der Wandel in der Fertigung mit sich bringt. Dabei beziehen sich die Autoren auf eine Studie des "Global Lighthouse Network (GLN)", welches vom World Economic Forum betrieben wird. Die etwas PR-lastige und an größere Konzerne orientierte Selbstdarstellung des GLN mag störend wirken, tatsächlich sind aber interessante Einblicke ableitbar.

 

Der Studie nach hat die Corona Pandemie den Abstand von wenigen Leuchtturmfirmen, die der Digitalisierung Herr werden zur großen Mehrheit weiter vergrößert. Diese Unternehmen könnten die zukünftigen Pace-Maker der Branche werden und damit eine ähnliche Monopolisierung realisieren, wie sie auch Amazon und Co im B2C-Bereich erreicht haben. Auch McKinsey macht hier Erfolgsfaktoren aus:

 

  • Kundenzentrierung: Agilität wird hier als Werkzeug beschrieben, um schnell und effizient auf Kundenwünsche einzugehen. Ein Kern liegt dabei in der datengestützen Erfassung von Präferenzen der Kunden und der Umsetzung in kleinere, flexiblere Fertigungsmodule.
  • Lieferketten-Resilienz: Wer sich bei seinen Lieferanten auf eine Single-Sourcing Situation einlässt verliert. Der Trend geht deutlich zur Nutzung von Plattformen und sog. "n-tier Ökosystemen", um schnell rekonfigurierbare Netzwerke zu schaffen.
  • Geschwindigkeit und Produktivität: Hier wird deutlich die Bedeutung von Automatisierung von Fertigungsprozessen UND (!) Planungstätigkeiten hervorgehoben und wie diese sowohl die Maschinenausnutzung als auch die Produktivität steigern kann.
  • Nachhaltigkeit: Wer es bis jetzt nicht begriffen hat, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen: Umweltverträglichkeit, faire Arbeits- und Einkaufsbedingungen sind keine optionalen Nice-to-haves mehr. Es ist Selbstverständlichkeit.

Wie bewertet Accenture den digitalen Wandel in der industriellen Fertigung?

Accenture betont in seiner Studie, das jede Firma eventuell Eigenheiten und spezifische Merkmale hat, die sich nicht verallgemeinern lassen, sieht aber dennoch einige Megatrends, denen kein Fertiger entgehen werden kann:

 

  • Verstärkte Globalisierung und internationales Sourcing: Die Zunahme globaler Fertigungsnetzwerke und -kapazitäten, getrieben durch anspruchsvolle Kunden.
  • Digitaler Wandel: Eine Funktionsverlagerung von Hardware zu Software und IoT, die die Markteinführungszeit beschleunigt, aber auch den Schwerpunkt in der Wettbewerbsfähigkeit zur Datenhoheit verlagert.
  • Moderne Hardware: Die Notwendigkeit, physische Netzwerke zu optimieren und zu verwalten, um die Flexibilität zu erhöhen und die Betriebskosten zu senken.
  • Exzellente Prozesse: Die Bedeutung der Unterstützung eines durchgängigen Manufacturing Operations Management zur Verbesserung von Qualität und Kontrolle.

Dabei stützt sich Accenture auf drei sogenannte "Cores", die den Wandel in der industriellen Fertigung antrieben:

  1. High Tech Industrie: Robotik, Automatisierung und neue Geschäftsmodelle sind selbst aus der Technik erwachsen und greifen nun ihre Schöpfer an. Die Kombination aus Internationalisierung und Automatisierung bietet allerdings auch viele Chancen für Hochlohnstandorte.
  2. Engineering für eine digitale Welt: Der Fokus sollte laut Accenture auf datengestütztes und kundenwertorientiertes Engineering gelegt werden um erfolgreiche Innovationen zu realisieren. Teilweise setzen Engineering-Unternehmen ihren Schwerpunkt mittlerweile auf technische Disruption, um vielfache Wachstumschancen für Ihre Kunden zu generieren. Aber auch Kooperationsmodelle mit Startups und jungen Unternehmen verdrängen die eingestaubte Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten.
  3. Services für die Industrie: Die Wertschöpfung endet nicht mit der Übergabe von Komponenten oder Maschinen. Mit intelligenten Services lässt sich ein jahrelanger Umsatzfluss aufrecht erhalten.

Welche Chancen und Risiken sieht IBISWORLD durch digitale Disruption in der fertigenden Industrie?

Laut IBISWorld orientiert sich der disruptive Wandel entlang der vierten industriellen Revolution, die dazu führt, dass fertigende Unternehmen weniger auf menschliche Kompetenz, sondern vermehrt auf digitale Tools wie Robotik, Automatisierung und Softwarelösungen setzen. Besonders die Bedeutung von künstlicher Intelligenz und Big Data wird hervorgehoben. Dabei sehen die Autoren folgende Einsatzbereiche für AI:

  • Einsatz von AI zur Optimierung von Produktionsprozessen (Vorrausschauende Wartung, ...)
  • Erhöhung der Produktivität durch Demand Forecasting und verbesserte Logistik
  • Optimierung der Supply-Chain, z.B. durch die Zusammenarbeit mit datengestützen Plattformen

Unter dem Schlagwort "Smart Factories" werden verschiedene Maßnahmen aufgezeigt, mit denen autonome, adaptive und flexible Produktionssysteme (Schlagwort "Wandlungsfähigkeit") entwickelt werden. Die Wertschöpfung in der Fertigung prognostizieren die Autoren für 2024 mit einer Wachstumsrate von 1.4% und einem Gesamtumfang von 6.700 Milliarden USD.

WO sieht Roland Berger Erfolgsfaktoren der Plattformökonomie im Maschinenbau?

Auch Roland Berger hat sich mit dem VDMA und der Deutschen Messe AG zusammen getan und eine Studie zu den Chancen, Risiken und Folgen von Plattformen im Maschinenbau veröffentlicht. Auch hier sieht man den Mehrwert digitaler Plattformen insbesondere in den geringerenTransaktionskosten, neuen
möglich gewordenen Services und Geschäftsmodellen sowie Netzwerkeffekten. Als Netzwerkeffekt wird dabei insbesondere auf das Potenzail verwiesen, schnell bestehende Strukturen zur durchbrechen und eine "Winner takes it all"-Situation (siehe Amazon) zu schaffen. Hervorgehoben wird ebenfalls das kritische Erfolgskriterium der Nutzerzahl, was es für neue Player unattraktiv macht mit bestehenden Plattformen zu konkurrieren. Von daher ist Kooperation mit bestehenden Plattformen eher angesagt als Konkurrenz.

 

Dabei teilt Roland Berger die Plattformen nach 6 Kriterien in 8 Typen ein.

 

Leider ist die Studie klar auf große OEMs wie Siemens, Voith und Bosch fokussiert, die hier auch Studienteilnehmer sind. Klarer Fokus der Studie ist die interne Vernetzung von Maschinen und Fabriken, weniger eine offene, transaktionsorientierte Plattform, wie sie wohl von der Mehrheit der Interessierten erwartet wird. Damit richtet sich die Studie weniger an kleine bis mittlere Unternehmen, sondern mehr an die Strategieentwicklung in Großkonzernen.

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Über mich

Moritz Schulz
Mitarbeiter in der Fraunhofer Gesellschaft und Technik-Blogger seit 2012.

 

Services

Beratung zu Digitalisierung & Entwicklung im Maschinenbau